Das Menschliche Element
Nicolas Alexander Otto 09.06.2024 - vor 5 Monaten
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Zu Beginn meiner fotografischen Laufbahn, als Akolyth großer Namen der angelsächsischen Szene und Illusionist der Wildnis, war ich stets zutiefst betrübt, sobald ich eine Komposition fand, die mir gefiel, diese jedoch irgendwo Zivilisationsrudimente aufwies. Links ein Zaun im Bild? Undenkbar! Ein Haus am Berghang? Das kann ich nicht fotografieren! Ein Strommast ragt ins Bild hinein? Pfui, direkt das Bild gelöscht. Diese Frustration, Bilder zu machen, die nicht die reine Wildnis widerspiegeln, saß tief in mir verwurzelt.
Bilder wie diese hier aus Schottland und Lesotho machen immer noch einen Großteil meines Portfolios aus. Ich liebe die Wildnis und am Rande der Zivilisation zu stehen und versuche dieses Gefühl von Abgeschiedenheit auch heute in vielen meiner Bilder wiederzugeben.
Doch ich wohne in Mitteleuropa, zusammen mit Hunderten Millionen von anderen Menschen, nicht in den USA, wo die Siedlungsdichte um einiges geringer ist. Dort ist es einfach, ein Wüstenstück zu erkunden, das nur wenige Anzeichen von Anwohnern hat. In Deutschland und Umgebung wird man nur schwer fündig. Kleinere Ausschnitte gelingen, doch in fast jedem Weitwinkelbild ist ein Windrad am Horizont oder eine Stromleitung schlängelt sich über einen fernen Hang. Schließlich wollen wir alle auch den Strom nutzen, der mit diesen erst geschaffen und dann verteilt wird. Wildnis ist etwas, das es in Mitteleuropa nicht gibt. Doch ich war felsenfest davon überzeugt, genau solche Bilder entwerfen zu wollen, um die Illusion der Landschaft aufrechtzuerhalten, die ich von meinen Vorbildern aufgesaugt hatte.
Bilder wie dieses von der Grand Teton Range haben mich nachhaltig beeinflusst, noch heute zieht es mich in die Staaten. Doch was auf diesem Bild nicht zu sehen ist, ist der Parkplatz einige Meter hinter mir und die anderen Touristen, die es an diesem kühlen Herbstmorgen 2009 auf den plan rief um das Alpenglühen zu fotografien. Diese Wildnis war mit Sicherheit alles andere als wild. Der Sonnenuntergang in den Drakensbergen hingegen ist so wild wie es nur geht, mindestens 2 Tage Wanderung sind nötig um dort hin zu gelangen in einer der am spärlichst besiedelten Ecken der KwaZulu-Natal Region in Südafrika. Der Laie sieht jedoch keinen Unterschied.
Mittlerweile kann ich an Orte überall auf der Welt reisen: Lesotho, Kanada, Japan, USA und kürzlich Spitzbergen. Alle diese Landstriche sind dünn besiedelt, und teilweise sind auch keine Straßen mehr vorhanden. Landstriche, die man wohl schon als Wildnis oder zumindest ihre Türschwelle bezeichnen könnte. Ich fotografiere hier viel, doch auch Orte wie Teneriffa, die Sächsische Schweiz oder Rügen zählen zu meinen Lieblingsmotiven. Ich habe irgendwann meinen Frieden gefunden mit der Tatsache, dass es Landschaften gibt, deren essenzieller Bestandteil diese menschlichen Elemente sind. Ich bin in der Zwischenzeit dazu übergegangen, zu überlegen, welche Wirkung menschliche Hinterlassenschaften wie Ruinen, rostige Autos oder Gräber auf die Betrachter haben können. Gleichermaßen sind Elemente wie Burgen, Häuser oder andere Merkmale unabhängig von der Landschaft Projektionsflächen für die Gedanken des Betrachters.
Leuchttürme und auch Bergwiesen mit Bauernhof sind sehr schöne Motive und erweiteren unseren Assoziationsrahmen ungemein. Das Bild wird dadurch lebendiger und die Geschichten erwachsen aus dem Bild in den Köpfen der Betrachter.
Schnell stellen sich Fragen: Wie es wohl gewesen wäre, zu Zeiten, als die Burg noch besiedelt war, in diesem Tal zu leben; womit verdienen die Menschen hier auf dem Land ihr Geld, wenn die nächste Stadt dutzende Kilometer weit entfernt ist; wie es wohl ist, in dieser kleinen Hütte mal einen Winter neben diesem schönen See zu verbringen, und so weiter. Die Wirkung solcher Bildelemente regt den Betrachter zum Nachdenken an, und so beginnen sich Geschichten in seinem Kopf zu entwickeln. Dieser Umstand ist eine sehr wirkungsvolle Grundlage für visuelles Storytelling. Durch die reiche Historie Mitteleuropas kann die hohe Siedlungsdichte somit auch ein Vorteil sein. Das Einbeziehen von menschlichen Elementen ist daher nur ein weiteres Mittel der Bildgestaltung. Es macht bei einem Foto einen sehr großen Unterschied, ob ein kleines Häuslein am Waldesrand noch im Bildkader ist oder nicht. Das eine Bild erzählt dem Betrachter möglicherweise von einem alten Pärchen, das am Waldesrand wohnt, ohne das Haus vielleicht eher nur von den anliegenden Sträuchern – mal ganz salopp gesprochen. Die Tatsache, dass Menschen sich alsbald daran machen, das Kopfkino anzuwerfen, kann also zum Vorteil genutzt werden. Auch in der Landschaftsfotografie, eine Disziplin welche, den Menschen oft ausklammert, und seine Abwesenheit zelebriert ist somit auch Platz für ihn und seine Geschichten. Kurz gesagt, sollten Sie einfach diese Geschichten selbst weiterspinnen und nicht davor zurückschrecken das Menschliche Element kreativ zu nutzen.
Lange her sind die Zeiten in denen ich mir noch die Mühe machte meine Komposition anzupassen damit ich keine Häuser im Bild hatte, keine Straße oder dergleichen. Mittlerweile gestalte ich Bilder teils aktiv um solche Elemente herum und versuche sie produktiv in Szene zu setzen. Ich frage mich bis heute, wem wohl die Kleine Hütte auf den Lofoten gehört, die ich eines morgens samt glasklarer Spieglung fotografierte und wie oft dort wohl kleine Feiern mit Frenden vor der spektakulären Naturkulisse stattgefunden haben oder wie viele Generationen die Kleinen Häuschen in den Voralpen bereits in der Familie weitergereicht wurden. Alles Geschichten in meinem Kopf eingefangen durch Landschaftsfotografie.