Ein Traum wird Wahr: Svalbard!
Nicolas Alexander Otto 15.09.2024 - vor 2 Monaten
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Tierfotografie als Landschaftsfotograf
Spitzbergen war immer ein Traum von mir: endlose Bergketten, verschneit und unberührt von Menschenhand. Schon kurz nachdem ich die Landschaftsfotografie als Hobby für mich entdeckt hatte, wollte ich dorthin reisen, um die atemberaubenden Ausblicke einzufangen. Nur mit einem guten Freund, meinem Zelt, meiner Kamera – und ganz viel Zeit.
Doch schnell wurde mir klar, dass es ein kleines Problem gibt: Eisbären. Die größten Landraubtiere der Erde, und die einzigen, die Menschen aktiv jagen, sind dort heimisch. Aus diesem Grund darf man die wenigen Ortschaften nicht ohne Schusswaffe und entsprechenden Waffenschein verlassen. So viel also zu meinem ursprünglichen Plan.
Immer wieder habe ich recherchiert, wie teuer es wäre, einen Waffenschein zu machen, um ein Gewehr leihen zu können. Oder vielleicht doch einen Guide zu engagieren, der die nötige Ausrüstung mitführt. Leider stellte sich beides als unbezahlbar heraus. Zudem fiel mir auf, dass es kaum Bilder von Spitzbergen gibt, abgesehen von den wenigen Ortschaften und einigen Aufnahmen weiter im Landesinneren. Das liegt an der Verkehrssituation: Straßen gibt es fast keine, und um die wildromantischen Gegenden im Hinterland zu erreichen, benötigt man ein Schiff. Hinzu kommen strenge Naturschutzauflagen und andere Einschränkungen. All diese Umstände machten Spitzbergen für mich unerreichbar.
Dank meines Kollegen und Freundes Sven Herdt wurde dieser Traum dennoch Wirklichkeit – wenn auch anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Denn Landschaften habe ich dort fast gar nicht fotografiert.
Als Sven und ich eine Fotoreise auf den Färöer-Inseln leiteten, fragte er mich, ob ich im folgenden Jahr mit ihm nach Spitzbergen kommen wolle. Da er von meinem Traum wusste, lud er mich kurzerhand als Co-Guide auf seine Fotoreise dorthin ein. Auch die Agentur war einverstanden, da es bei einer Gruppe von 16 Personen kaum möglich ist, diese allein als Fotograf zu betreuen.
Sven machte mir allerdings schnell klar, dass an die Art von Landschaftsfotografie, die ich sonst betreibe, nicht zu denken war. Zum einen wegen der Eisbären, die immer noch eine ernsthafte Gefahr darstellen, zum anderen, weil wir im Juni nach Spitzbergen reisen würden. Auf 78° Nord geht die Sonne in dieser Jahreszeit nämlich gar nicht unter – und sinkt auch nicht tief genug, um das goldene Licht für schöne Landschaftsaufnahmen zu erzeugen. Der Termin wurde so gewählt, dass die mitreisenden Ornithologen möglichst viele Vögel beobachten konnten. Also, so Sven, würden wir uns auf Wildlife und Vögel konzentrieren, auch in fotografischer Hinsicht. Unterwegs waren wir auf der Rembrandt van Rijn, einem 100 Jahre alten, aber sehr gut in Schuss gehaltenen Segelschiff. Anfangs war ich etwas skeptisch, doch im Grunde genommen, hatte ich gerade ein Ticket ins Paradies bekommen.
Während der Fotoreise merkte ich schnell, dass es für mich keinerlei Bewegungsfreiheit gab, um Landschaftsbilder zu machen. Die Gruppe, die schon recht groß war für eine Fotoreise, war immer darauf erpicht, einen Polarfuchs, ein Schneehuhn oder ein anderes Tier zu entdecken. Das Wetter und das Licht waren herausfordernd, und obwohl die Landschaften atemberaubend aussahen, konnte ich nie in Ruhe ein Bild komponieren. Das war schlichtweg aufgrund des Tempos der täglichen Landgänge nicht möglich.
Nach kurzer Zeit versuchte ich, mich an diese Art der Fotografie anzupassen. Natürlich hatte ich ein langes Teleobjektiv dabei und war fleißig dabei, mit den Teilnehmern die Tierwelt zu fotografieren. Doch es dauerte eine Weile, bis ich in den Flow kam. Ich kann Wildlife fotografieren – ich kenne die Einstellungen, die Tricks und weiß, wie man gute Bilder macht. Doch das Maß an Fremdbestimmung war etwas ganz anderes. Auf meinen eigenen Reisen habe ich normalerweise immer die Zügel in der Hand. Ich entscheide, wann wir wo für den Sonnenaufgang sein müssen und welche Perspektive wir fotografieren. Dabei geht es nicht nur um die Einstellungen und Komposition, sondern ebenso sehr darum, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Diese Aufgabe übernahmen auf Spitzbergen unsere Arctic Guides – die Jungs mit dem Ortswissen und den nötigen Befugnissen. Sie machten einen fantastischen Job, steuerten die Zodiacs, hielten Ausschau nach Eisbären und organisierten die Landgänge.
Mit der Zeit ließ ich mich treiben und reagierte auf meine Umgebung, anstatt wie sonst alles im Voraus zu planen und zu visualisieren. Aus einem Zodiac heraus zu fotografieren, während Dickschnabellummen, Thorshühnchen und andere Vögel im Wasser schwammen, erinnerte mich eher an einen Lightgun Shooter oder auch Rail-Shooter aus den Arcaden aus meiner Kindheit, bei denen man bei vorgefertigten Bewegungen nur mit der Pistole auf den Bildschirm schießen musste. Hier eben musste ich einfach die bestmöglichen Kader im Vorbeifahren und aus dem zwar stillstehenden aber immernoch wankenden Zodiac finden. Mit meinem sonstigen Stil als Fotograf, bei dem ich auf gerne mal 10-30 Minuten an einer Komposition arbeite hatte das rein gar nichts zu tun. Aber es hatte seinen ganz eigenen Reiz, schließlich gab es immer einen Vogel oder ein anderes aufregendes Tier zu sehen und zu fotografieren. Ich versuchte stets, sowohl die Bedürfnisse der Mitreisenden im Blick, als auch die Tierwelt im Auge zu behalten, um das Beste aus den Gegebenheiten herauszuholen. So segelten wir 12 Tage lang entlang der Küsten meines Sehnsuchtsortes – etwas, das ich mir nie hätte vorstellen können, wenn nicht mein Kollege Sven mir diese Möglichkeit eröffnet hätte. Es war wirklich ungemein Aufregend, man wusste nie, ob nicht gleich eine Planänderung eintreten würde weil ein Eisbär gesichtet wurde oder wir einen Kurswechsel vornehmen würden weil das Wetter es uns erlaubte eine bestimmte Vogelkolonie anzusteuern.
Zwischen den Landgängen gab es exzellentes Essen, 1A-Lime-Daiquiris und jede Menge Zeit zum Entspannen und Fachsimpeln auf dem Deck, während wir nach der sagenumwobenen Elfenbeinmöwe Ausschau hielten – die sich leider nicht zeigte. Diese Tour war ganz anders, als ich es gewohnt war. Zwar gelang mir kein Landschaftsbild, das ich hier zeigen möchte, schlichtweg, weil das Licht nicht gut genug sein konnte. Doch auf eine schwer in Worte zu fassende Weise war der Trip eines der Highlights meiner fotografischen Karriere. Ich bin unglaublich dankbar, dass ich Teil dieser Tour sein durfte, auch wenn mir die Berge und Täler, die ich schon immer erkunden wollte, verschlossen blieben. Stattdessen bekam ich Zodiac-Touren unterhalb von 100.000 Brutpaaren von Dickschnabellummen, Eisbären am nahen Ufer, schläfrige Polarfüchse und unzählige arktische Vogelarten.
Die Reise hat mich als überwiegenden Landschaftsliebhaber dazu gebracht, meine Wildlife-Fähigkeiten wieder zu entdecken und die Faszination für die Tierfotografie neu zu entfachen. Vielleicht habe ich eines Tages noch einmal das Glück, nach Spitzbergen zurückzukehren – vielleicht sogar mit Zelt und Wanderungen zu den Aussichtspunkten, die ich mir über die Jahre herausgesucht habe. Doch selbst wenn nicht, bin ich überglücklich, dieses Erlebnis gehabt zu haben.