Wie Angeln ohne Wurm
Wie Angeln ohne Wurm
Kilian Schönberger 14.09.2023 - vor 1 Jahr
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Wie Angeln ohne Wurm
Warum beim Fotografieren nicht nur Fotos im Mittelpunkt stehen
Sicher habt ihr schon mal von Anglern gehört, die mit ihrer Rute am Wasser sitzen, ohne dass sich ein Köder am Haken befindet. Nicht der dicke Fisch ist ihr Ziel, sondern das Genießen der Zeit an der frischen Luft. Tatsächlich kann es beim Fotografieren ganz ähnlich sein. Denn verrückte Farben am Himmel oder ein tolles Nebelmeer lassen den Adrenalinspiegel natürlich in die Höhe schießen - aber auch ohne spektakuläre Ergebnisse kann ein Fotoausflug eine zufriedenstellende Aktivität sein. Für mich ist das Rausgehen mit der Kamera manchmal fast eine Art Luxus. Für Buchprojekte und kommerzielle Aufträge sitze ich viel am Schreibtisch, schreibe Texte, betreibe Location-Scouting oder bearbeite Bilder. Eine kleine Tour in die Berge bringt positive Abwechslung. Ich empfehle euch nicht - um beim Beispiel vom Angler ohne Wurm zu bleiben - ohne Kamera loszuziehen. Sicher verstaut im Rucksack, für den Fall der Fälle ist sie dabei. Denn aus heiterem Himmel könnte dann doch ein spannendes Motiv vor die Linse hüpfen. Aber nicht jede Tour muss von einzigartigen Bildern gekrönt sein, manchmal sind die Erlebnisse unterwegs genauso einprägsam.
Morgens und abends unterwegs
Wobei ich differenzieren muss: Je nach Tageszeit sind die fotografischen Ergebnisse wichtig oder weniger wichtig. Morgens zum Beispiel bin ich meistens nach perfekten Bildern aus. Über mehrere Tage beobachte ich die Wettervorhersagen und bereite akribisch mehrere alternative Spots vor. Bei so großer Vorleistung erwarte ich dann schon einen entsprechend guten Ertrag. Was in den meisten Fällen zum Glück auch klappt, denn sonst könnte ich die Motivation, teils um zwei Uhr morgens und früher aufzustehen, nicht so hoch halten. Abends sieht es aber anders aus. Durch den Übergang vom Tag zur Nacht, ist die Situation on-location sehr übersichtlich. Morgens ist es etwas herausfordernder die weitere Entwicklung der Bedingungen zu erahnen. Abends behalte ich das Wetter im Auge und kann so gut mögliche Fotogelegenheiten planen. Unterwegs verändern sich die Bedingungen natürlich weiterhin und manchmal wird dann klar, dass der Tag weniger spektakulär als erwartet enden wird. Was aber kein Grund ist den Abend nicht zu genießen. Denn statt fokussiert von einer Brennweite zur nächsten Brennweite zu wechseln und kaum einen Moment zum Durchatmen zu haben, geht es dann gemächlicher zu. Ich nutze die Zeit gern, um mich ein wenig mit der direkten Umgebung zu beschäftigen. Die Augen offen halten nach interessanten Tier- und Pflanzenarten - was wiederum in einer ungeplanten Foto-Session enden kann. Für zukünftige Besuche scoute ich in der Umgebung nach alternativen Standpunkten. Auf diesem Weg habe ich schon einige gute Blickwinkel entdeckt, aber auch mein Gefühl für eine bestimmte Landschaft verbessert. Den unterschiedlichen Sonnenstand im Sommer- und Winterhalbjahr sollte man dabei stets im Hinterkopf haben. Meist nutze ich die Smartphone-Kamera mit aktivierten Geokoordinaten, um diese Spots festzuhalten.
Vom bewussten Erleben
Oder ich sitze wirklich einfach mal still auf einem Fels oder einer Bank und lasse die Atmosphäe der Landschaft über eine halbe Stunde auf mich wirken. Sich bewusst Zeit nehmen und ohne ständigen Blick auf das Mobiltelefon die Natur genießen ist Luxus in der heutigen Zeit.
Ich habe ja geschrieben, dass ich mich zu meinen Abendtouren vor der Haustür meist spontan entscheide. Aber gerade weil es eher darum geht, nach einem Schreibtischtag nochmal an die frische Luft zu kommen, freu ich mich dabei über Gesellschaft. Aufgrund der Kurzfristigkeit müssen mögliche Begleiter aber flexibel sein. Gemeinsam unterwegs zu sein hat viele Vorteile.Gerade wenn Zeit für Gespräche bleibt, sind Fotoausflüge auch ohne spektakuläre Bildergebnisse schöne Erlebnisse.
Im Hier und Jetzt bewusst zu Fotografieren und die Natur erleben gilt aber nicht nur für spontane Fotoausflüge. Auch auf Fototouren und Workshops kann es sein, dass das Wetter mal nicht so mitspielt wie erhofft. Aber genau dann bleibt mehr Zeit für Entdeckungen rund um den Aufnahmestandpunkt, weil der Blick nicht wie gebannt am Sucher oder Display hängt. Gerade an solchen Tagen ergeben sich dann völlig unerwartete Bilder, die zwar vom ursprünglichen Plan abweichen, aber besonders gut in Erinnerung bleiben, weil man sich gemeinsam als Gruppe on-location neue Motive erarbeitet. Wenn die Komfortzone verlassen werden muss, wird es spannend und fotografisch lehrreich. Ich habe tolle Touren erlebt in denen sich eine ganz eigene Gruppendynamik entwickelt hat und die Teilnehmer sehr unterschiedliche aber durchwegs faszinierende Motive entdeckten. Bei den Bildbesprechungen ergibt sich so ein besonders großer Lerneffekt, da die Teilnehmer einen direkten Vergleich haben, wie andere die Situation visuell wahrgenommen und fotografisch umgesetzt haben.